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Mein Auslandsjahr an der Mimar-Sinan Universität der…
19. August 2016
Mein Auslandsjahr in Istanbul enthielt viele Höhen und Tiefen. Mit vielen Fragezeichen über dem Kopf begegnete ich einer völlig fremden Kultur. Die Schlüsselrolle der Türkei zwischen Europa und dem nahen Osten wurde 2016 zu einer der wichtigsten Fragen der Poltik, Medien und Gesellschaft. Auch ich kam als fremder in die Türkei und lernte sie auf ihre vielschichten Arten mal mehr und mal weniger gern kennen.
Bevor ich mich auf die Reise in eine der größten Metropolregionen unserer Erde machte, versuchte ich mich irgendwie vorzubereiten. Der Zeitpunkt des Abfluges rückte immer näher und somit begann die Suche nach einer Wohnung auf dem etwas surrealen Portal „Craigslist“. Die Eingangsschwelle um nach Istanbul zu gehen lag zunächst dabei, diese Internetseite zu verstehen. Parallel hierzu inserierten viele Vermieter oder Mitbewohner ihre Zimmer in entsprechenden Facebook-Gruppen. Die Gruppen in denen „Erasmus“ stand, habe ich von vornherein versucht, zu meiden. Für ein horrendes Geld wurden hier Zimmer an zahlungskräftige ERASMUS-Studenten vermietet. Eine regelrechte Mietmafia hat sich darauf spezialisiert, heruntergekommene Apartments mit maximalem Profit zu vermieten. Ich rate daher ab, mehr als 200€ für ein Zimmer zu bezahlen. Die Bezahlung erfolgt ebenfalls guerillamäßig in bar und unregelmäßig. Je nachdem wie der Landloard gerade zu sprechen ist. Einen Mietvertrag habe ich nie gesehen. Ich hatte zumindest sehr großes Glück: Zwei Wochen vor Abflug kam ich im Apartment eines Freundes einer Bekannten in dem Stadtteil „Harem“ zwischen „Üsküdar“ und „Kadıköy“ auf der asiatischen Seite unter. Von hier waren es mit Bus und Fähre max. 30 Minuten zum Unicampus und somit absoluter Luxus für Istanbul.
Mein zweites Semester habe ich auf der europäischen Seite im Stadtteil „Kasımpaşa“ nähe dem Galata Turm gewohnt. Dieses Viertel ist sehr heruntergekommen und konservativ. Hierher stammt Präsident Erdogan und dieser findet hier viele Freunde. Ausgegangen (außer für Besorgungen) bin ich hier nicht. Das gute ist aber, dass „Beyoğlu“ und „Cihangir“ fußläufig erreichbar sind. In dem zuletzt genannten Stadtteil zieht es auch die meisten Studenten und Kunstschaffende, die den Preis zahlen können.
Im Großen und Ganzen fand ich die asiatische Seite von der Wohnqualität besser und die Fährüberfahrt hin zur Uni ist schon eine entspannende Belohnung. Der einzige Abstrich war der dementsprechend lange nächtliche Nachhauseweg. Hier leisten aber die Großraumtaxis (Dolmuş) abhilfe, welche 24/7 am Taksim – Platz abfahren und einen bis nach „Kadıköy“ auf die asiatische Seite bringen. Umgerechnet zahlt man für den nächtlichen Trip 6 TL, was zu meiner Zeit etwa 2€ waren und es dauerte 30-50 Minuten.
Der Campus meiner Fakultät ist einer der schönsten in ganz Istanbul. Du hast großes Glück, dein Mittagessen direkt mit Bosporusaussicht zu dir zu nehmen. Die Straßenbahnhaltestelle Findikli ist direkt vorm Campus. Mit der Fähre ist der Fährhafen Kabatas oder Karakoy fußläufig in 5 – 15 Minuten erreichbar. Der Eingang zum Campus wird durch Sicherheitskräfte bewacht. Wunder dich also nicht, dass die Wachmänner und –frauen einen Blick in deine Tasche werfen und deinen Studentenausweis sehen wollen. Der Campus besteht im wesentlichen aus einem lang gezogenen Gebäude, in dem ein ganzes Duzend an Fachrichtungen untergebracht sind, die ich bis heute nicht alle kennengerlernt habe. Die wichtigste Einrichtung hier ist die Mensa. Ab 12 Uhr zog sich eine lange Schlange durch das gesamte Gebäude und wartete auf die Speise. Meistens hat man hier auch als Vegetarier ganz gute Karten, wenn man dem Koch verklickern kann, dass man „Etsiz“, „Yok Et“ oder „Vejetarian“, also kein Fleisch will. Der Preis ist echt unschlagbar (1,5 TL also 50 Cent) und zu 80% hat mir das Essen meist geschmeckt. Erschreck dich nicht, wenn du die „Teller“ siehst.
Die Einrichtung und Ausstattung der Universität ist zu vergleichen mit dem Stand der 80er Jahre in Deutschland. Viele Dinge sind improvisiert oder schlecht durchdacht. So gab es Türen, durch die man nicht durchgehen kann und übel riechende und nicht funktionierende Toiletten in allen Fakultäten. Ich bekam das Gefühl, das Personal hätte sich etwas lethargisch mit den Dingen abgefunden, wie sie halt sind. Aber irgendwas findet man in seiner Deutschen Art der Dinge immer, die Verbesserungswürdig sind. Meine Fakultät hatte das große Glück, durch eine private Finanzierung ihre Computerausstattung sowie Fotoausrüstung auf neusten Standard zu bringen. Dadurch, dass viele Dinge improvisiert sind, experimentiert man plötzlich viel herum, was in der Dunkelkammer und beim künstlerischen Arbeiten zu einem Kreativschub führen kann – Not macht Erfinderisch.
Die Lehrveranstaltungen sind oftmals überfüllt und gleichen eher einer Workshopsituation. 90% der Kurse werden auf Türkisch gehalten und viele der Dozenten unternehmen auch nicht den Versuch, auf Englisch zu kommunizieren. Am Anfang war ich sehr enttäuscht über die Art und Weise, wie ich in die türkische Gruppe aufgenommen wurde. Während ich in Weimar erlebt habe, dass auch mal ein Kurs komplett auf Englisch gehalten wird, weil ein ERASMUS-Student da war, gab es in meinen Kursen oftmals nicht mal eine Begrüßung auf Englisch. Bei uns als Auslandsstudenten kam das anfangs gar nicht gut an. Nachdem wir die Dozenten damit konfrontiert haben, konnten einige aber gute Abhilfe schaffen und haben den Kurs je nach Anzahl der englisch sprachigen Teilnehmer einfach in zwei geteilt. Ein Großteil an Wissenszuwachs blieb mir aber leider aufgrund der Sprachbarriere verwehrt.
Als Fotostudent konnte ich mich sehr gut an der SINAR Fachkamera austoben, auf der ich zwei Projekte realisiert habe. Weiterhin gibt es ein komplett ausgestattetes Fotostudio, in dem von jedem Hersteller und aus jeder Epoche etwas dabei ist. Es lässt sich hier arbeiten, man sollte aber nicht damit rechnen, dass alles kompatibel miteinander ist. Immer schön in die Listen eintragen, wenn ihr mal ins Studio wollt! Auch die Dunkelkammer entspricht etwa dem Stand der 80er. Kleiner Tipp: Öffne niemals den Kühlschrank der hier steht! Die Hohe Anzahl an Studenten auf so engem Raum lässt die Gegenstände schnell abnutzen und ersetzt wird sporadisch. Erst nach einiger Zeit konnte ich mich aber an den generellen Usus, der bei Dozenten und Studenten herrscht, gewöhnen: Morgen wird’s klappen!
Zuletzt möchte ich euch die Ausflüge ans Herz legen, die vom Mimar Sinan Art Video Club veranstaltet werden. Extrem chaotisch organisiert und herzensgut sowie lustig konnten wir für umgerechnet 20 € für 3 Tage mit dem Uni-eigenen Bus nach Olympus und Umgebung fahren –Unterbringung und Verpflegung inbegriffen. Zu meiner Zeit war es möglich, Freunde mitzunehmen, jedoch hat sich das nach den Terroranschlägen geändert. Auch hier heisst es: Morgen wird’s klappen!
Die schwierige Zeit während des heissen Frühlings mit den Terroranschlägen muss ich auch kurz erwähnen. Für uns alle war diese Zeit beängstigend, wir dachten darüber nach, zu gehen. Unsere Eltern haben uns für verrückt erklärt und dennoch war es die beste Entscheidung, zu bleiben. Durch die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen wurde man eher Verunsichert, als dass es gegenteilig wirkte. Wir haben uns eingeredet, dass so etwas ja überall passieren könne – aber im Nachhinein kommt mir das wie ein naiver Schutzmechanismus vor.
Nicht desto trotz kann ich ein Auslandssemester oder besser ein ganzes Jahr in Istanbul sehr empfehlen, um eine andere Kultur ein wenig zu verstehen. Diese Erfahrung möchte ich gerade in der Türkei-EU Debatte 2016 nicht missen.